26 Kommunen zählt der Landkreis Erding, Isen ist eine davon. Zu Bayern gehören die Dörfer der heutigen Marktgemeinde erst seit etwas mehr als 200 Jahren - denn bis 1802 unterstand das Gebiet direkt dem Freisinger Fürstbischof. Die Geschichte der Herrschaft Burgrain ist geprägt von Konflikten mit den Nachbarn. Spuren sind noch heute sichtbar.
In südlichsten Zipfel des Landkreis Erding liegt Burgrain - ein kleines Dorf wie viele andere, wäre da nicht das stattliche Schloss, das auf einem Berg über den Ort wacht. Wer das Bauwerk von nahem in Augenschein nehmen möchte, muss zunächst einen beachtlichen Anstieg über die schmale Burgstraße bewältigen. Oben angekommen, findet man neben Wohnhäusern einen kleinen Friedhof, ehemalige Ställe und, umgeben von steilen Abhängen, das erwähnte Schloss, das sich in Privatbesitz befindet und nicht für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Die Schlosskirche St. Georg ist ein beliebter Ort für Hochzeiten, worauf ein Wegweiser an der Burgstraße hindeutet: Dieser verspricht „Eheglück” in 200 Metern.
Im Jahr 811 wurde der Ort Burgrain in einer Urkunde des Bischofs Atto von Freising zum ersten Mal schriftlich erwähnt. Die Freisinger Bischöfe besaßen im oberen Isental seit dem frühen Mittelalter Land, das dem Bistum von frommen Personen geschenkt worden war. Das um 1200 errichtete Schloss Burgrain - eine typische mittelalterliche Burganlage - wurde 1227 zum Sitz der gleichnamigen Herrschaft, die über 500 Jahre bestehen sollte. Landesherr in Burgrain war der jeweilige Freisinger Fürstbischof, der sich vor Ort durch sogenannte Pfleger vertreten ließ.
Die Herrschaft Burgrain bildete mit Stadt und Burgfrieden Freising, der Grafschaft Ismaning (östlich der Isar, zwischen Ismaning und dem heutigen Münchner Nordosten) und der Grafschaft Werdenfels (um Garmisch, Partenkirchen und Mittenwald) das Hochstift Freising. Mit dem übrigen freisingischen Gebiet war Burgrain geografisch nicht verbunden und stellte somit eine Exklave des Hochstifts dar. Die Ausdehnung der Herrschaft betrug von Norden nach Süden nur etwa zehn Kilometer, von Westen nach Osten deren fünf. Zum Vergleich: San Marino, noch heute ein unabhängiger Staat und eine Enklave in Italien, ist geringfügig größer. Im Norden und Westen grenzte die Herrschaft Burgrain an Bayern, im Osten und Süden an die Grafschaft Haag.
Seit jeher war Isen, das zwei Kilometer nördlich von Burgrain liegt, der größte und bedeutendste Ort des Herrschaftsgebiets. Ein Wander- und Radweg, der Burgrain und Isen verbindet, führt durch viel Natur mit Feldern und Wäldern und entlang des Flüsschens, das der Marktgemeinde ihren Namen gegeben hat: die Isen, die von hier weiter nach Lengdorf, Dorfen und Ampfing fließt, um schließlich bei Neuötting in den Inn zu münden. Wie Burgrain hat auch der Ort Isen, seit Mitte des 15. Jahrhunderts mit dem Marktrecht ausgestattet, ein historisch bedeutsames Bauwerk vorzuweisen: Die Kirche St. Zeno war einst Teil eines der ältesten Klöster im heutigen Bayern. Das Benediktinerkloster, später Kollegiatstift St. Zeno, bestand seit dem 8. Jahrhundert und pflegte eine enge Beziehung zum Freisinger Bischof - schließlich lag es in seinem weltlichen Einflussbereich.
Unumstritten war die Herrschaft der Freisinger im oberen Isental jedoch keineswegs. Vor allem mit den Nachbarn aus Haag kam es des öfteren zu Streitigkeiten, zum Beispiel über unscharf definierte Grenzverläufe in den Wäldern. 1317 nahmen die Haager das Schloss Burgrain ein, 1382 wurde die Herrschaft an den Grafen von Haag verpfändet und erst 1421 vom Bischof zurückgekauft. Die über Bayern herrschenden Wittelsbacher wiederum stellten sogar grundsätzlich die Landesherrschaft der Freisinger Oberhirten infrage.
Erhöhten Diskussionsbedarf zwischen Burgrain und Bayern gab es dabei nicht zuletzt um die hohe Gerichtsbarkeit. Daraus resultierend, praktizierte man an der Isen lange eine kuriose Form der Vollstreckung von Todesstrafen, wie das Freisinger Stadt- und Kulturmagazin FINK berichtet: „Wenn das burgrainische Gericht einen Untertanen zum Tod durch den Strang verurteilte, musste man ihn zur Hinrichtung an Bayern überstellen.” Hinrichtungen durch das Schwert durften die Burgrainer hingegen selbst durchführen. Erst im 18. Jahrhundert wurde Burgrain endlich ein eigener Galgen zugestanden...
Ende 1802 fiel die Herrschaft Burgrain, die damals rund 2200 Einwohner zählte, an das Kurfüstentum Bayern. Zum Landkreis Erding gehören Isen, Burgrain, Mittbach und die umliegenden Ortschaften erst seit der Gebietsreform in den 1970er Jahren: Zuvor waren sie Teil des damals aufgelösten Landkreises Wasserburg am Inn. Einzelne Orte der Herrschaft Burgrain gehören heute nicht zum Markt Isen, sondern zu Dorfen, Lengdorf oder Buch am Buchrain.
Im Juni 2011 veranstaltete die Marktgemeinde Isen anlässlich des Jubiläums „1200 Jahre Burgrain” eine Festwoche. Die dazu erschienene Jubiläumsschrift nimmt mit dem Titel „Der Mohr zwischen Schimmel und Rauten“ Bezug auf das Freisinger Wappen - den heute umstrittenen heraldischen „Mohren” - ebenso wie auf die bayerischen Rauten und den Schimmel im Wappen der ehemaligen Grafschaft Haag.
Sichtbare Spuren aus der Herrschaft Burgrain gibt es neben dem Schloss auch durch die über ein Dutzend erhaltenen Grenzsteine. Eine Liste der Standorte findet sich unter de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Baudenkmäler_in_Isen. Der Archäologische Verein Erding bietet in Kooperation mit dem Arbeitskreis für Heimatpflege und Kultur des Marktes Isen regelmäßig Wanderungen entlang der ehemaligen Burgrainer Grenze an. Der nächste Termin ist für den 27. April geplant.